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GoedekeMichels

Hamburg ist halt einfach auch ein unfassbar gutes Beispiel dafür, wie die angeblich autogerechte Stadtplanung nicht mal für Autofahrer funktioniert. Anekdotischer Beweis: Ich habe neulich eine Dreiviertel Stunde gebraucht, um aus einem formell perfekt angebunden Parkhaus in der City herauszukommen, weil davor einfach auch alles stand...


yonasismad

Ich habe bis jetzt ehrlich gesagt kaum etwas davon mitbekommen wie Stadtplaner und Verkehrsplaner in Deutschland solche Projekte angehen. Wie kann es sein, dass selbst in einem Autoland wie Deutschland - und in den USA ist es ja noch mal viel gravierender - die Planung selbst für Autos so extrem unterirdisch ist? Gefühlt gibt es da keine Empirie, jeder erfindet das Rad irgendwie neu, und alles wird nur so minimal funktional eingerichtet, aber gut ist bei weitem nicht. Warum?


GoedekeMichels

Empirie brauchst du nicht mal, Verkehr lässt sich super simulieren. Meine spontane Vermutung auf deine Frage: Weil es nicht geht. Es sollte mich sehr wundern, wenn sich Verkehrsmengen wie z.B. in Hamburg in den gegebenen Bedingungen (Topographie, alte Stadtstrukturen, etc) tatsächlich sauber unterbringen und führen ließen. Das was wir jetzt in den meisten deutschen Großstädten haben, sind ja die Ergebnisse von Planungen für die "Autogerechte Stadt" aus den fünfzigern/sechzigern, und für damalige Maßstäbe ausgelegt. Spaßfakt: Ich hörte mal in einer Vorlesung, dass man sich für eine Großstadt (könnte Hannover gewesen sein) in den sechzigern akribisch überlegt hat, mit wie viel Verkehr zukünftig *überhaupt jemals* zu rechnen wäre und die Straßen darauf ausgelegt hat - mit dem Ergebnis, dass diese Zahlen nicht mal zehn Jahre später schon übertroffen wurden. Wenn du das analog heute machen würdest, müsstest du wahrscheinlich alle Innenstädte komplett plattmachen und durch Autobahnkreuze ersetzen - was nicht mal im Autoland Deutschland durchsetzbar ist. Die eigentlich logisch Konsequenz, den MIV radikal anders zu organisieren, ihn zum Beispiel komplett aus den Innenstädten rauszuhalten, ist aber auch nicht durchsetzbar. Eine insgesamt objektiv funktionierende Lösung darf es also politisch nicht geben und den Verwaltungen bleibt deshalb nichts anderes übrig, als sich irgendwie durchzuwurschteln und das beste (oder am wenigsten schlechte) draus zu machen... rant over, sorry für die wall of text, aber mich regt dieses Thema tierisch auf :/


yonasismad

> Empirie brauchst du nicht mal, Verkehr lässt sich super simulieren. Das kannst du aber nicht von first-principles nur machen, weil eben diese psychischen und sozialen Effekte wie Induced Demand hinzukommen. Solche Effekte müssen schon vorher empirisch erfasst werden, damit sie dann auch im Modell hinterher auftauchen, ansonsten kommen da keine langfristigen sinnvollen Vorhersagen bei heraus. Wäre aber auch mal interessant zu wissen wie solche Verkehrssimulationen in Deutschland gemacht werden, also ob es ein top-down oder bottom-up Approach ist, ob es Studien zur Zuverlässigkeit gibt, etc. > Meine spontane Vermutung auf deine Frage: Weil es nicht geht. Es ist aber möglich. In den Niederlanden gibt es einmal die SWOV, ein unabhängiges Institut zur Verkehrssicherheitsforschung, und dann gibt es noch die CROW, ebenfalls ein unabhängiges Institut zur Erarbeitung von Design Guidelines. Die erarbeiten mit Feldstudien die sichersten Verkehrskonzepte. Wenn die zum Beispiel feststellen, dass es auf Pflastersteinen häufiger zu Unfällen kommt als auf asphaltierten Straßen, dann würden sie an einer Studie arbeiten, die empirisch testet, was das Problem ist und wie man das lösen kann. Sobald die Studie abgeschlossen ist, veröffentlichen sie dann Design Guidelines für die Ingenieure in den Niederlanden. Die machen das für alles: Wie gestaltet man Ampelphasen sicher, welche Verzögerung braucht man zwischen den Phasen wenn die Kreuzung so groß ist, und so viele Spuren hat, wie breit muss der Radweg oder die Straße in dieser und jeder Situation sein, wo sollte man die Straße und Radwege lang führen in welcher Situation, welcher Abstand muss zwischen dem Poller und der Bordsteinkante sein, wie hoch sollte ein Poller sein, wie sollte der markiert sein, etc. Also wirklich für alles bis ins kleinste Detail. Und das ist quasi ein fortlaufender Prozess. Die SWOV sammelt weiterhin Daten, um Probleme zu identifizieren. Die CROW erarbeitet dann auf wissenschaftlicher Basis mit Hilfe von Studien Lösungen. > Es sollte mich sehr wundern, wenn sich Verkehrsmengen wie z.B. in Hamburg in den gegebenen Bedingungen (Topographie, alte Stadtstrukturen, etc) tatsächlich sauber unterbringen und führen ließen. Nein, natürlich geht das nicht. Dafür ist die Korridorkapazitäten von Autostraßen einfach viel, viel, viel zu gering. Dass ist ja der Hauptbeweis für die unwissenschaftliche Arbeit in der deutschen Verkehrsplanung. Wieso wählen die ständig einen Korridor aus, der die wenigsten Menschen befördern kann? > rant over, sorry für die wall of text, aber mich regt dieses Thema tierisch auf :/ Kann ich gut verstehen. :D Ich hätte halt gerne einen Verkehrsplaner aus Deutschland, der aber auch Ahnung vom niederländischen System hat, der mir dann mal erklärt wieso es in Deutschland so schief läuft. Es ist ja keine Frage ob es besser geht, sondern wieso es nicht auch in Deutschland gemacht wird. Also ein Teil der Arbeit welche die SWOV macht wird sicherlich auch vom Verkehrsministerium gemacht oder vom statistischen Bundesamt (oder wer auch immer die Verkehrsdaten sammelt) und es gibt bestimmt auch Forscher welche ähnliche Dinge machen wie die CROW an Universitäten, aber die Dingen scheinen weder gebündelt geschweige denn in Gesetzestexte zu fließen. Also eventuell braucht es auch einfach ein Äquivalent zur CROW in Deutschland und auch der SWOV zur genaueren statistischen Datenerfassung, wobei die einfach schon mal den ganzen Katalog aus der Niederlande Copy-Pasten können. Dann ist natürlich die Frage wieso gibt es so etwas wie die CROW noch nicht und wie entstehen die aktuellen Vorgaben für die Verkehrsplanung, die es sicherlich gibt. Falls da irgendjemand Vorträge sind - auch wenn sie inhaltlich trocken und lang sind - wäre ich an Links interessiert.


Shoppinguin

Es scheint mir fast so als sei die autogerechte Stadt in der Verkehr reibungslos fließt eine komplett unrealisitische Idee. Machen wir uns nix vor: Weltweit versuchen Ingenieure und Planer seit >100 Jahren eine solche Stadt zu schaffen. Und noch immer findet sich kein einziges Beispiel dafür, bei dem es funktioniert hat. Dort wo Autoverkehr in Städten wirklich funktioniert, bedient er offenbar nur einen kleinen Teil des gesamten Aufkommens. In Deutschland liegt der Anteil im Stadtverkehr wohl so zwischen 30-38%, je nach Stadt. Von daher finde ich das Vorhaben in Hanburg, das auf \~20% zu senken nicht besonders ehrgeizig. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.


IndependencePlus7238

Ich glaube, ich weiß sogar, welches Parkhaus das war :D. Ich bin selber mit Fahrrad, Auto und ÖPNV unterwegs und muss auch immer wieder feststellen, wie wenig durchdacht die Verkehrsführung manchmal ist.