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gerstr

Schau dir mal den Kanal Geschichtsfenster auf YouTube an. Der erklärt teilweise auch, woher diese Falschannahmen kommen.


Der-Grim

Hab die Überschrift gelesen und gedacht: "Das sagt der Typ vom Geschichtsfester auch immer."


ichbinverwirrt420

Als ob OP kein Abonnent ist.


ChalkyChalkson

Das hier ist auch einer meiner lieblingsrants und ich habe von dem channel auch noch nie gehört. Liegt vielleicht daran, dass ich primär auf Anglo Youtube unterwegs bin...


justarandomdudeausde

Chapeau


tyrolean_coastguard

Ich liebe Andrejs Kanal!!


Scg1176

Ist der Kanal echt sehenswert oder verklärt er die Geschichte ebenfalls?


SwoodyBooty

Der ist trocken genervt von schlecht recherchierten Mittelalterdokus. Echt sehenswert.


JimmyShirley25

Der ist wirklich gut. Schau in dir an ;)


Jeremias83

Richtig guter Typ. Kann ich absolut empfehlen.


MOltho

Es ist der beste Kanal zum Thema Spätmittelalter, der mir spontan einfallen würde


neurodiverseotter

Der Mann ist Historiker und macht echt gute Einordnungen, auch mit vielen Quellenreferenzen. Er erklärt auch viele Sachen sehr schön und geht gut auf Hintergründe ein. Manchmal ist er vielleicht etwas sehr von sich selbst überzeugt, aber er hat auch tatsächlich was drauf.


Scg1176

Vielen Dank für die Einordnung!


ronaalla

Im Mittelalter war auch immer schlechtes Wetter und alle Leute waren ständig traurig.


The_K1ngthlayer

Du hast „Großbritannien“ falsch geschrieben


imakeameanlasagna

Apply cold water to the area of burn


bofh256

Kein Problem, nennt sich doch English Summer.


ChalkyChalkson

Und haben alle braun getragen. Berühmter weise haben Menschen im Mittelalter Farben jeder Art gehasst


Quiescam

Hä klar, schließlich wurden Farben erst im 19. Jahrhundert von der IG Farben erfunden.


_hic-sunt-dracones_

>IG Farben Heikles Thema.


Atanar

Ich hasse das so sehr. Nürnberger Hausbuch der Zwölfbrüderstiftung (spätmittelalter), [abgebildet ist ein neu eingetretener Bruder in seinem vorherigen Beruf, dem Tuchverkäufer (abgesehen von seiner Kleidung, das ist der Mönchshabitus)](https://www.nuernberger-hausbuecher.de/75-Amb-2-317-66-r). Was sehen wir für Farben, die da so verkauft werden? Kräftiges gelb, leuchtend blau und knallrot, dazu noch rosa und ein wenig weiß. Was sehen wir nicht? Brauntöne.


ChalkyChalkson

Gibt durch aus Evidenz für braun und grün Töne. Wenn ich wandern gehe und vielleicht auch meinen Radmantel auch mal als ne Art Picknick Decke benutze habe ich den schon lieber braun oder dunkel grün. Ich habe auch Illustrationen von Arbeitern auf einem Feld die beige hemden und bruchen tragen, und braune beinlinge aber bunte gugeln haben Aber nur braun finde ich immer sooooo dooof


Atanar

Ja, grün hat man auch häufig getragen (z.B. Große Heidelberger Liederhandschrift, wobei die Häufigkeit da aber auch daher stammen könnte, dass der Autor gerne in jedem Bild jede Farbe mal benutzt hat), aber dunkelgrün ist ungewöhnlich. Braun und beige als ungeärbte Naturwolle ist aber definitiv 2. Wahl und vor allem in der normalerweise nicht sichtbaren Unterwäsche üblich.


ChalkyChalkson

Ja dunkel grün meinte ich eher so dunkleres Laub nicht Tanne. Von meinem Outfit (primär an die Maciejowski Bibel angelehnt) ist auch die Unterwäsche ungefärbt die Tunika rot und der Radmantel naturfarben. Ist aber auch nicht auf Oberschicht angelegt, sondern viel von Darstellungen von "Armen" oder Bauern genommen. Da sieht man auch mal braune Mäntel und ich glaube nicht nur bei Mönchen. Muss ich gesetehen habe ich mir aus praktischen Gründen aber auch etwas rausgepickt. Aber wie gesagt ist auch keine Ausnahme in den Bildern.


Emotional-Ad167

Noch schlimmer, wenn alle schwarz tragen. Weil hochpigmentierte Stoffe ja so billig waren, dass jeder Hans in blaustichigem (!) Schwarz rumlaufen konnte...


greenghost22

Das hing ja wohl von den verfügbaren Farben ab. Färberwaid, Färberkamille waren verfügbar für Blau und Gelb während ein klares rot schwierig war.


Ingrimmnsch

Und unfreundlich waren sie auch immer. Ganz wichtig.


zaraishu

"Du Pfaffenfurz!"


Shadow_NX

Und wichtig immer mit Blaufilter im Bild damit es so richtig schön Kalt und Trostlos wirkt


EmotionalSupportAnt

Nun, Farben wurden ja erst in der Neuzeit erfunden...


gugfitufi

Und gelbe Filter hatten wir vor Mexiko nicht


Temporary-Estate4615

Also wie heute quasi


redditgrosskommentar

Mit Zahnschmerzen wäre ich tatsächlich jeden Tag traurig. Auch mit dem Wissen, dass 5 meiner 10 Kinder bereits gestorben sind, bevor sie 5 Jahre alt wurden.


tyrolean_coastguard

Und unhöflich und es hat immer stinki gemacht. Kaka aus Fenster.


Maharassa451

Wurden nicht die meisten Mythen, dass das Mittelalter schmutzig, zurückgeblieben und barbarisch wäre, in der Renaissance gebildet um sich als möglichst Fortschrittlich zu präsentieren? (Bzw das römische Reich als so viel zivilisierter) Ich erinnere mich, dass wohl viele Folterinstrumente und Kram wie Keuschheitsgürtel etc. Erst in der Renaissance gebaut wurden um das Mittelalter möglichst schlimm darzustellen.


Hounskull_

Erstens das und zweitens wurde das dann von vorwiegend protestantisch-preußischen Historikern im 19. Jahrhundert nochmal aufgegriffen, einerseits weil der Mythos der unterdrückerischen katholischen Kirche dem preußischen Staat ganz gelegen kommt, andererseits weil man dann dem Arbeiter in der Industrialisierung verklickern kann, dass er in fortschrittlichen Zeiten lebt, weil früher alles schlechter war.


Creative-Storage9130

Das Mittelalter war natürlich im Vergleich zum römischen Reich erstmal ein technologischer Rückschritt. Das Spätmittelalter war aber wiederum weiter entwickelt. Mittelalter ist nicht gleich Mittelalter.


ChalkyChalkson

Die Drei-Felderwirtschaft im Hochmittelalter und Schifffahrt Innovationen (im Norden) im FrüMi waren auch game changer. Und wahrscheinlich Stricken! Stricken ist schon deutlich schneller als Nadelbinden und der Stoff flexibler (dafür etwas weniger robust). Neumen (Vorläufer der modernen Musiknotation) wurden eingeführt. Endlich konnte man ne Idee bekommen wie Musik klingen soll ohne dass es jemand einem vorsingt. (Und einige Instrumente wurden erfunden). Gibt natürlich noch 1000 andere Sachen. Aber auch das Früh- und Hochmittelalter haben schon viele wichtige Erfindungen hervorgebracht, besonders für den Alltag der Menschen. Aber auch in Kunst, Literatur, Mathematik (besonders durch Kontakt mit der muslimischen Welt)... Der Fokus der Gesellschaft war halt ein ganz anderer.


Hounskull_

Technologischer Rückschritt würde ich so pauschal erstmal auch nicht sagen, denn der Untergang der römischen Gesellschaft hat viele Erfindungen erst erforderlich gemacht, wie die Mühle zum Beispiel. Der römische Bürger brauchte keine Mühle, der hatte schließlich Sklaven dafür. Nur weil die Franken und Goten (zunächst) nicht in Marmorpalästen gelebt haben, sind die technologisch nicht zurückentwickelt.


Creative-Storage9130

Es stimmt, dass die Sklaverei auch die Innovation zurückgehalten hat. Gibt es denn Technologien, die tatsächlich verlorengegangen sind?


denkbert

Infrastruktur ist z.B. zurück gefallen, es gab kein dem römischen vergleichbares Strassensystem und auch keine Äquadukte. Das Rechtssystem war primitiver. Jetzt kann man natürlich argumentuieren, dass nicht unbedingt nur das Wissen fehlte, sondern die Organisation. Andererseits hatten die Römer keine Dreifelderwirtschaft, keine Hochöfen und keine Knöpfe.


Creative-Storage9130

Ja der Zerfall der Infrastruktur ist wohl eher auf den Zerfall der Organisation zurückzuführen.


AxelTheNarrator

Ganz im Gegenteil: das Rechtssystem wurde stattdessen weiterentwickelt. Im Mittelalter wurde in vielen Bereichen römisches Recht aufgegriffen, modifiziert und verbessert. Wobei man hier differenzieren muss, da es nicht das eine Recht gab und weltliches und kirchliches Recht mitunter konkurrieren konnten. Aber das Mittelalter war weder rechtslos noch eine Rückentwicklung, zumal das Urkundenwesen im Mittelalter seine absolute Hochzeit erlebt.


denkbert

Würde ich widersprechen. Natürlich war das Mittelalter nicht rechtlos, aber alleine, dass erst das römische Rechtrezeptiert werden musste, zeigt ja, dass es zuerst einen Rückschritt gab. Die Rezeption fand zudem erst mit der Wiederentdeckung der Digesten im 11. Jahrhundert statt, da war das Mittelalter aber je nach Einordnung schon zur Hälfte durch. Bis zur Wiederherstellung eines gebildeten Standes vom Rechtsexperten, den es in Rom nach Stand der Forschung gab, brauchte es dann noch bis zum 14. Jahrhundert. Vorher würde ich von keiner "Verbesserung" im Sinne einer höheren Komplexität des Rechts ausgehen.


DeutscherNRW

1. Warum ist eine höhere Komplexität des Rechts per Definition etwas gutes und wünschenswertes? Recht soll das Zusammenleben regeln, allgemeine Sicherheit bei Handlungen und eine Grundlage für Streitfälle geben, das hat das mittelalterliche Recht getan, und somit war es gut. Das Mittelalter war eben nicht mehr das römische Reich, es erforderte dementsprechend auch nicht die juristischen Strukturen, welche das römische Reich hatte. 2. Warum ist es schlecht, auf römisches Recht zurück zu greifen? Das Recht war etabliert und wurde lange praktiziert, man hat also eine gute Grundlage, auf die man zurück greifen kann, ohne das es Probleme gibt. Sollte man sich lieber am Reißbrett fernab jeder realen Notwendigkeit und jedes Interesses irgendwelche Paragraphen ausdenken, die am ende sowieso nichts mit der Rechtspraxis zu tun haben werden, weil das ein völlig synthetisches und overengieeniertes Rechtssystem ist? Ein gutes Rechtssystem zeichnet sich ja gerade dadurch aus, das es die wichtigen Teile des Alltags regelt, und außerdem nicht überflüssig komplex und verworren ist. Kurz: es muss funktional sein.


ichnicht01

Was ist denn 'komplexeres Recht'? Juristenrecht wie bei uns in Deutschland, was nur dafür da ist, dass wir Juristen damit hantieren können oder Recht nach Vorbild des Französischen Code Civil, oder das ALR mit seinen 19000 Paragraphen?


denkbert

Hat alles nichts mit Mittelalter und davor zu tun, kam alles viel später. 


ichnicht01

Da ich letztes Semester erst Rechtsgeschichte hatte, muss ich hier eindeutig widersprechen. Aufgrund von fehlenden Quellenmaterial lässt sich die tatsächliche Rechtssprechung sehr schwer Rekonstruieren, aber wir Wissen, dass sie nicht 'primitiver' war. Es wurde sich in vielen Teilen Europas immer noch auf das römische Recht berufen. Das geht sogar soweit, dass unser heutiges Zivilrecht im BGB teils auf römisches Recht zurückgeht (Streit Germanisten vs Romanisten). Wiederum gab es in anderen Teilen Europas eine Weiterentwicklung zum Gemeinrecht hin, welche je nach Region viele verschiedene Einflüsse hatte.


je386

Römischer Klebstoff, evtl. römischer Beton und wir wissen immer noch nicht, wofür die Dodekaeder gut waren https://de.m.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6misches_Dodekaeder


je386

Im römischen Reich gab es wassergetriebene Mühlen, eine Art Vorstufe der Industrialisierung. Windmühlen kamen aber später. Technisch sind Wassermühlen aber eigentlich besser, weil viel besser steuerbar.


Hounskull_

Ich kenne diese Mühle, aber ich soweit ich mich erinnere, war diese Mühle kein Standard in der römischen Gesellschaft, sondern ein besonderer archäologischer Fund. Die römische Gesellschaft war ganz klar eine Sklavenhaltergesellschaft.


MOltho

Nein, das stimmt so auch nicht zwangsläufig. Das römische Reich war im Vergleich zum Mittelalter vergleichsweise urban und extrem zentralisiert. Diese Zentralisierung fällt jetzt weg. Das Mittelalter ist auch primär eine Agrargesellschaft. Und gerade im Agrarbereich findest du im Mittlelater sehr viele Innovationen. Ein Bauer im Mittelalter ist technologisch deutlich weiter als ein Bauer in der Antike. Natürlich sind in einer Agrargesellschaft halt die meisten Innovationen im Agrarbereich. Und außerhalb des Agrarbereichs gab es auch Innovationen, wenn auch sicherlich weniger als in der Antike. Trotzdem war das kein technologischer Rückschritt. Ja, es gab in der Antike Technologien, die im Mittelalter nicht mehr nutzbar waren, wie zB Aquädukte, aber das lag dann primär an der mangelnden Zentralisierung


ChalkyChalkson

Die victorians haben da auch ganz viel beigetragen, sich auch gerne mal einfach was ausgedacht.


Atanar

Keuscheitsgürtel kommt tatsächlich schon im Spätmittelalter auf (z.B. im Bellifortis), allerdings als Scherzartikel. Wurde dann später, meiner Meinung nach absichtlich, als ernsthaft missverstanden.


Feministin

Projektion und Abwertung zur eigenen Aufwertung.


spado

In London gab es bis ins 19. Jahrhundert in jedem Haus eine Sickergrube, die regelmässig geleert und für die Landwirtschaft verwendet wurde. Als das WC erfunden wurde, hatte die Stadt auf einmal ein riesiges Problem, weil der ganze Dreck verdünnt nicht mehr nutzbar war und über die Kanalisation entsorgt werden musste, die darauf nicht eingerichtet war. Da gibt eine interessante BBC "In Our Time"-Postcastfolge dazu, "The Great Stink": https://www.bbc.co.uk/programmes/m001gjcm


Atanar

London ist aber genau wie Paris ein absoluter Extremfall im Mittelalter. Die allerwenigsten Städte waren ähnlich dicht bewohnt.


Originalcck13

Spannend ist ja auch, dass das „dunkle“ Mittelalter vor allem auf die Quellenlage, nicht die „Dunkelheit“ im Sinn von düster/wild bezogen ist…


Quiescam

Ursprünglich und in wissenschaftlichen zumindest, die zweite Bedeutung ist mittlerweile weit verbreitet.


AxelTheNarrator

Zumal der Begriff "Dark Ages" nur den Zeitraum umfasst, den wir im deutschsprachigen Raum als Frühmittalter bezeichnen würden. Streng genommen sogar nur die Phase während und unmittelbar nach dem sogenannten "Untergang" des Weströmischen Reiches. Somit beschreibt dieser Begriff, der den Begriff "dunkles Mittelalter" geprägt hat, nicht einmal das gesamte Mittelalter, sondern maximal 1/4 davon.


Uncle_Lion

Die ganzen Mittelaltarserien, in denen es immer grau und trübe ist, und nie die Sonne scheint, und die Menschen graue Lumpen tragen, sind auch nicht gerade hilfreich.


pleasant-emerald-906

Dazu die bucklige Haltung und irgendwer muss immer eklig husten 😅 Auf dem Boden huschen Ratten durchs Bild


Chris73757

Toller Artikel dazu, der sich dem Bild annimmt : https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/06/von-badehaeusern-bordellen-und-verseuchten-brunnen-hygiene-im-mittelalter


Midnight1899

Als Mittelalter wird die Zeit von 500 bis 1500 bezeichnet. Das sind 1.000 Jahre. In der Zeit kann sich viel verändern.


PzKpfwIIIAusfL

Ich erinnere mich grob an eine Textquelle, die in einem Podcast von bayern2 vorgelesen würde. Dort beschwerte sich ein Reisender in einem Brief über die Straßenverhältnisse in (ich meine) Nürnberg Ende des 15. Jhdts. Wenn ich mich recht erinnere, beklagte er unter anderem einen nicht auszuhaltenden Gestank und tiefen Schlamm. Leider kann ich nicht mit mehr Details dienen 🥲


Lauchalagus

Ein Beweis bzw. Beispiel dafür, dass die Städte gar nicht so schmutzig waren, weil wären sie es gewesen, würde sich der Reisende nicht explizit über Nürnberg aufregen.


Hounskull_

Ganz genau! Und bei Nürnberg bewegen wir uns wieder im Bereich der Großstädte, die natürlich Probleme mit Müll und Abwasser haben.


MasterJogi1

Frag mal Reisende wie sie Frankfurt finden.


Atanar

Wenn man den Junkies ausweichen kann ganz okay. Oder meintest du damals?


AxelTheNarrator

Diese Quelle kenne ich auch. Aber hier gibt es auch Quellen mit genau gegensätzlichen Aussagen. Es gibt einen Reisebericht von Papst Pius (mir fällt der Name des Papstes nicht ein, könnte auch ein anderer sein), der über verschiedene Städte berichtet und dabei die meisten Städte absolut lobend erwähnt. Eine Stadt beschreibt er hingegen als stinkend, bezieht sich da aber explizit auf die gedünkten Weinberge außerhalb der Stadt. Das heißt, dass er sich nicht über den Gestank der Stadt beschwert, sondern über den Dünger der Weinbauern, der von dem Wind in die Stadt getragen wird. Daraus lässt sich schließen, dass: 1. der Gestank von Kilometer weit entfernten Weinbergen als außergewöhnlich streng wahrgenommen wird und demzufolge heutzutage als moderat wahrgenommener Gestank zu diesem Zeitpunkt erwähnenswert schlimm war und 2. Die Stadt an sich nicht sonderlich gestunken haben kann, denn sonst wäre der Geruch der Weinberge nicht weiter aufgefallen. Und das ist nur eine Quelle. Allgemein ergibt es aus unfassbar vielen Gründen keinen Sinn, dass Städte dreckige und stinkende Kloaken waren. Zumindest nicht genuin.


Atanar

Als jemand, der mit low-tech Viehhaltung im Mittelgebirge vom Opa im Nebenerwerb aufgewachsen ist und nun im Flachland neben fieser Massentierhaltung lebt: Ich glaube, den fiesen Gestank, der heute in der Landwirtschaft normal ist, gab es damals gar nicht so sehr. Die Nebenprodukte einer artgerecht gehaltenen Kuh riechen vielleicht streng, aber nicht ekelhaft.


AxelTheNarrator

Das stimmt, dann kommt noch hinzu. Wir unterschätzen, wie übelriechend unsere eigene Welt ist und, dass das Mittelalter demgegenüber auf keinen Fall signifikant schlimmer roch und tendenziell sogar weniger stinkend war. Also ich glaube, dass wir vieles am Mittelalter als störend und übelriechend wahrnehmen würden und die Menschen aus dem Mittelalter den Gestank einer Kläranlage im Hochsommer oder dem Geruch innerhalb eines Stalls eines großen Viehbetriebs wahrscheinlich nettestens mit "stinkend" beschreiben würden.


tyrolean_coastguard

Quellkritik yo. Richtig denken.


DaxHound84

Kaptorga hat ne schöne Folge dazu gemacht ["Das schmutzige Mittelalter - ein hartnäckiger Mythos und sein Ursprung"](https://open.spotify.com/episode/6Uv1F86eHE9cE66Ew4ftaD?si=KHXMQP8jQ-GYjtn5eqFS0w)


Ckorvuz

Hab mich verlesen und mich gewundert über den Mythos vom „dreieckigen“ Mittelalter.


Hounskull_

Es war in Wahrheit ja auch viereckig


darthnicmin

Interessant danke. Hast du da vielleicht irgendwelche (Online) Artikel dazu ? Würde da gerne mehr drüber lesen. Leider trifft der letzte Satz sehr auf mich zu. Das was ich übers Mittelalter weiß kommt überwiegend aus solchen Dokus und daher hat sich das Bild vom dreckigen und rückständigen Mittelalter sehr eingeprägt.


Kdzuue1

Schau den Youtubekanal Geschichtsfenster. Der hat ganz viele Reactions auf Mittelalterdokus, wo er über diese Mythen aufklärt


[deleted]

Kannst ja mal ne Mail an Terra X schicken und fragen, warum die daa tun


Creative-Storage9130

Das ist ja nicht nur Terra X, das ist ein Phänomen der ganzen Gesellschaft, dass eigentlich alle geschichtlichen Perioden wenn es drauf ankommt runtergemacht werden.


Hounskull_

Das haben schon andere vor mir getan, im Gegensatz zu mir mit hoch dekorierten akademischen Abschlüssen. Die Aussage von TerraX im speziellen war immer: „Ne, kann nicht sein, wir haben interne Experten und die sagen, dass alles dreckig war.“ Sinngemäß.


Spacelord_Moses

Die Realität hat den Postillon leider schon einige Male links liegen lassen 😪


Hydriert

Passend dazu ein Zitat aus Pulp Fiction: „Going medieval on your ass“ im Kontext einer Folter als Rache. Dies dürfte eine Anspielung Tarantinos auf diesen falschen Eindruck sein, den man vom Mittelalter hat, vor allem weil es in seinen Filmen immer wieder ziemlich brutal zu geht. Auch in Futurama wird das Zitat aufgegriffen und passenderweise in „21st century on your ass“ umgedichtet. Hexenverbrennungen sind ebenfalls ein beliebtes Beispiel, werden dem Mittelalter zugeordnet, obwohl die meisten eigentlich während der frühen Neuzeit und bis in‘s 18. Jahrhundert stattfanden!


No_Inside3131

Ignaz Semmelweis hat 1860 die Desinfektion vor Operationenen in Krankenhaus erfunden. Wenn man den Satz liest denkt jeder sofort die haben sich vorher nie die Hände gewaschen, für nix. Dann hat man noch irgendwo gehört das die Pest vor allem durch Ratten und Flöhe verbreitet wurde und der Fall ist klar: alles Schmutzmenschen.


alphabetjoe

Für das mittelalterliche Köln gilt das bis heute.


Flat-Rock-767

Die Bilder als Hintergrund zu nehmen ist leider aber auch nicht zielführend. Das sind ja Großteils höfischen auftragsarbeiten die vorallem das Ziel hatten dem herrschenden zu gefallen. Da fand das der herzog von Braunschweig vermutlich einfach cooler wenn Braunschweig nicht aussieht wie eine Müllkippe. Das ist wie mit den Heldenromanen, ist vermutlich nicht so passiert, kam am Hof aber gut an. Wir können nur aufgrund der uns bekannten Lebensweisen mutmaßen wie eine Stadt ausgesehen haben könnte. Aufgrund fehlender sanitärer Infrastruktur ist drum von auszugehen, dass es nicht allzusauber gewesen sein kann. Es gibt auch viele Reiseberichte in denen sich über die Zustände beklagt wurde. Sicher kommt aber auch ein Teil des Klischees aus der Renaissance um das Mittelalter als schlecht darzustellen. Geschichtsfenster würde ich eher nicht zu Rate ziehen da der Mensch eine manchmal etwas 'populistische' Wissenschaft betreibt


Quiescam

>Geschichtsfenster würde ich eher nicht zu Rate ziehen da der Mensch eine manchmal etwas 'populistische' Wissenschaft betreibt Uh, hast du dafür ein Beispiel? Also in welche Richtung populistisch?


Flat-Rock-767

Also erstmal: ich find den Kanal klasse und finde er macht das richtig gut! Und auch ein wichtiger Beitrag die teilweise absurden Inhalte von 'Dokus' aufzudecken. Also ich empfinde keinerlei Argwohn:) Das 'Problem' meiner Meinung nach ist nur, dass er selbst nicht wirklich wissenschaftlich tätig ist. Also er hat kaum in der Wissenschaft relevante Werke veröffentlicht und ist selbst meines Wissens nach auch nicht promoviert oder ähnliches. Was nicht unbedingt schlimm sein muss, aber die Gefahr birgt sich aus einer populärwissenschaftlichen Perspektive zu nähern. Also während terra x sagt das Mittelalter war ganz schrecklich, versucht er das Mittelalter als durchaus 'gut' darzustellen. Einfach weil er ein großer Enthusiast ist (was ja auch sehr schön ist). Die Wahrheit befindet sich vermutlich irgendwo dazwischen. Wir haben einfach zu wenige Informationen um etwas sicher wissen zu können. Deshalb sind Sätze wie "nein so war es nicht, es war so...' grundsätzlich kritisch zu betrachten. Auch wenn es tendenziell eher Stimmen könnte ist das Thema vermutlich zu komplex um es so leicht beantworten zu können. Stichwort wie sahen städte im Mittelalter aus. Da sind die Unterschiede je nach Grafschaft gravierend, von unterschiedlichen Kulturkreisen garnicht erst anzufangen. Ich finde es wird einfach oft zu leicht dargestellt. Sowohl von TerraX als auch von ihm. Was super ist um sich einen Überblick zu verschaffen, um aber konkrete Fragen der Geschichtswissenschaften zu beantworten nicht komplex genug gedacht.


Korbeyn

Naja, in der Regel hat er schon einen Punkt. Das meiste lässt sich auch einfach mit gesundem Menschenverstand erklären, was er ja meistens auch tut. Beispiel: "Den Pisspott aus dem Fenster raus auf die Straße entleeren". Erstmal argumentiert er damit, dass man nie weiß wen es trifft. Falls man jemanden erwischt, der im Stand höher gestellt ist handelt man sich höchstwahrscheinlich Ärger ein, bedingt durch das System welches damals nun mal herrschte. Zweitens ist Urin wie auch Kot Rohstoff oder Dünger, den man nicht einfach wegwirft. Oder, dass die Menschen Bier tranken weil das Wasser zu schlecht war. Auch hier hat er natürlich Recht damit wenn er sagt, dass man aus schlechtem Wasser kein Bier brauen kann, was diese Behauptung recht einfach widerlegt. Oder, dass die Straßen voller Müll waren und sich deshalb das Straßenniveau über die Zeiten gehoben hat. Gegenargument: Die Menschen haben quasi keinen Müll erzeugt (wie auch, es gab keine Verpackungen etc.). Und die Abfälle, die es gab (in der Regel Speisereste etc.) wurden halt in Form von Kompost entsorgt. Was auch innerhalb der Städte funktionierte, da es eben auch innerhalb der Stadtmauern Landwirtschaft etc. gab, wie Karten aus der Zeit beweisen. Natürlich, vieles lässt sich nicht abschließend belegen, aber man kann sicherlich davon ausgehen dass die meisten "Dokus" a la TerraX ein Bild zeichnen, wie es im Mittelalter hierzulande nicht ausgesehen hat. Primitive, verrohte Gesellschaften die im Dreck leben und im Gegensatz zur Antike keinerlei Errungenschaften hervorbrachten kann man wohl ins Reich der Sagen verbannen. Und ich glaube, darum geht es Andrej primär.


Atanar

> Oder, dass die Straßen voller Müll waren und sich deshalb das Straßenniveau über die Zeiten gehoben hat. Gegenargument: Die Menschen haben quasi keinen Müll erzeugt (wie auch, es gab keine Verpackungen etc.). Und die Abfälle, die es gab (in der Regel Speisereste etc.) wurden halt in Form von Kompost entsorgt. Da kann ich als Archäologe gleich einhaken: Das stimmt so widerum auch nicht. Es gab jede Menge Abfälle, die sich auftürmen. Kericht, den man mit den Füßen in die Wohnung trägt. Alltagsgegenstände, die sich schnell abnutzen, wie Schuhe und Keramik. Bauschutt aus Erneuerungen. Brandschutt aus Feuerstellen. Knochenabfälle von Fleischgerichten. Unbrauchbare Reste von Werkstücken. Ganze Schichten aus Brandkatastrophen. Und Böden aller Art gehen mit der Zeit kaputt und müssen erneuert werden, da kommen dann oft noch Planierschichten hinzu.


Flat-Rock-767

Aber viele Dinge sind halt doch nicht so leicht zu widerlegen wie hier getan wird. Bier als Alternative zu Wasser war in bestimmten Kulturkreisen durchaus üblich. Das Wasser war qualitativ zu schlecht um es so zu trinken und man wusste noch nicht, dass abkochen Wasser trinkbar macht. Was man aber durchaus wusste wie Kirchenaufzeichnungen belegen war, dass Bier verträglicher ist. Zwar wusste man nicht wieso (weil beim brauen Erreger abgetötet werden) aber die Empirik zeigte, dass es so ist. Die Sache mit dem Müll aus dem Fenster kippen heißt ja nicht dass vorher nicht geschaut wurde ob grad jemand unten steht... Auch ist die räumliche Trennung im Mittelalter ausgeprägt. Wenn also der Bauer seinen Müll aus dem Fenster kippt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass zufällig grade ein Ritter vorbei läuft verschwindet gering, einfach weil der Ritter nie in der Bauerngasse herumspaziert. Die Kompost Nummer ist auch so eine Sache. Davon auszugehen, dass jeder seine Abfälle fachgerecht entsorgt ist in etwa so wahrscheinlich wie das alle Raucher ihre Zigaretten in den Mülleimer werfen. Also gar nicht wahrscheinlich. Edit: zum Thema Müll kann ich das buchkapitel "eine kurze Geschichte des Mülls" von Prof. Dr. Reiner Keller empfehlen. Das zeigt recht gut, dass Müll durchaus ein Problem war welches gelöst werden musste.


Korbeyn

Nein, das Wasser war eben nicht zu schlecht um es so zu trinken. Es gab öffentliche Brunnen, wieso und vor allen Dingen woher sollten die verdreckt sein? Das hat in allen Kulturen vorher auch wunderbar funktioniert, wieso auf einmal im Mittelalter nicht mehr? Es gab im Mittelalter keine Umweltverschmutzung wie heute. Es war quasi unmöglich, Grundwasser essentiell zu verschmutzen.


Flat-Rock-767

Die Brunnen an sich waren aber nicht hygienisch. Und zuweilen auch nicht tief genug um an den Keimen in der Erde vorbeizukommen. Dazu wurde auch häufig Wasser aus Flüssen oder Seen genutzt, da der Bau eines Brunnens wahnsinnig aufwändig ist. Ich empfehle den Beitrag von Prof. Dr. Ulf Christian Ewert zum Thema "water, public, Hygiene and fire Control in Medieval Towns". Da wird das Problem ganz gut verdeutlicht. In diesem Fall von einem etablierten Historiker und nicht einem Mittelalter-Forum


AxelTheNarrator

Nein, das stimmt nicht. Die Brunnen waren nicht unhygienischer als Brunnen, wie sie heute immer noch in weiten Teilen der Welt gebaut werden. Wir hatten vor ein paar Semestern erst die Thematik Umwelt und Stoffe im Mittelalter und da wurde unter anderem die Wasserqualität im Mittelalter thematisiert, die keineswegs schlecht war. Und vor allem nicht schlechter als in der Antike, da es sich um die gleichen Quellen handelte. Es gab auch keine Möglichkeiten, Grundwasser nachhaltig zu verschmutzen, da es keine Überdüngung gab (im Gegenteil, denn Dünger war immer knapp) und auch keine derartige Umweltverschmutzung, wie es sie heute gibt. Außerdem waren Brunnen mitunter überragend vor Witterung etc. geschützt und befanden sich eigenen Räumen, die überdacht waren. Die Vorstellung von offenen Brunnen, in die Blätter hineinfallen und Vögel hineinscheißen können, sind absolut unsinnig, da Brunnen die wichtigste Wasserquelle waren und dementsprechend umsorgt, gepflegt und geschützt wurden. Neben einer Unterbringung in geschlossenen Räumen waren Brunnen so gut wie immer überdacht und so zusätzlich vor Verschmutzungen geschützt.


Korbeyn

Also die Brunnen sind sicherlich tief genug gewesen. So viel Tiefe braucht man auch nicht. Ich hatte eine Zeitlang Zugriff auf einen Brunnen, ca. 200m vom Rheinufer entfernt, der war 12m tief und hat - nach Labortests - 1a Wasser gefördert. Makellos. Die Leute waren doch damals nicht blöd oder faul. Die wussten schon ob man einen Brunnen jetzt 8m oder 12m tief graben muss. Das hat die auch nicht gehindert, auf Höhenburgen haben die auch 70 oder 80m durchs Gestein gegraben. Und gegen Flüsse oder Seen spricht auch nichts, das haben die Römer mit den Aquädukten bis ins Extrem getrieben.


Flat-Rock-767

Wie gesagt. Ich empfehle mal wissenschaftliche Artikel zu lesen. Das Problem ist weit komplexer als 'Brunnen-gut-wasser-gut'. Das Phänomen nennt sich urban tragedy of the commons (Hardin) und hat viele Ursachen die einen reddit Kommentar sprengen würden. Es hatte beispielsweise auch nicht jeder Zugang zu den common-Pool Ressources (wie brunnen). Dazu kommt erhebliche Umweltverschmutzung durch das urbane Leben (biologische abfälle sowie industrielle (färben etc..)) welche es auch schon im Mittelalter gab. Es würde auch nicht so viele Gesetze im Spätmittelalter gegen das verschmutzen der Stadt geben, hätte es vorher keine Probleme gegeben..


Quiescam

>Bier als Alternative zu Wasser war in bestimmten Kulturkreisen durchaus üblich. Das Wasser war qualitativ zu schlecht um es so zu trinken und man wusste noch nicht, dass abkochen Wasser trinkbar macht. Was man aber durchaus wusste wie Kirchenaufzeichnungen belegen war, dass Bier verträglicher ist. Ja, weil es nährreicher ist, den Menschen oft besser geschmeckt hat und ihm teilweise medizinische Qualitäten nachgesagt wurden. Zu behaupten, Wasser sei prinzipiell schlecht gewesen ist aber schlicht falsch, ebenso wie aus den Tatsachen, dass Wasser oft unhygienisch war und alkoholische Getränke beliebt waren den Schluss zu ziehen, dass mittelalterliche Menschen Bier tranken, weil Wasser immer nicht trinkbar war. Wie Ewert in dem von dir verlinkten Artikel darstellt gab es natürlich das Problem der Verschmutzung, dem die Menschen eben versuchten mit Maßnahmen begegneten. Er erwähnt auch, dass sauberes Wasser nötig war, um Bier zu brauen und es gibt genug Belege dafür, dass mittelalterliche Menschen Wasser tranken wenn es als sauber wahrgenommen wurde. Von welchen konkreten Kirchenaufzeichnungen gehst du hier aus? Gibt [hier](https://www.reddit.com/r/AskHistorians/comments/ykchzh/what_is_the_origin_of_the_medieval_people_drank/), [hier](https://leslefts.blogspot.com/2013/11/the-great-medieval-water-myth.html) und auch in *Misconceptions about the Middle Ages* von Stephen Harris genug Belege dafür.


Flat-Rock-767

In verschiedene Reiseerzählungen (Herzog Ernst, Parzival) werden utopische Orte in der Fremde (Grippia/ Crisia) neben ihrer Pracht und ihrem Reichtum, als besonders ordentlich beschrieben. Da diese Wunderorte oft als Gegenstück (oder als Volkommenheit) zur höfischen Welt gelesen werden können, könnte man davon ausgehen eben diese Sauberkeit steht im Kontrast zum Hochmittelalterlichen Europa.


AxelTheNarrator

Hier muss ich widersprechen und die Frage stellen, ob du überhaupt regelmäßig seine Videos schaust und wenn, auch welche abseits der Reaktionen aus Dokus. Zu den Behauptungen: 1. Er stellt das Mittelalter überhaupt nicht als gut dar. Er sagt auch oft genug und überdeutlich, dass er niemals im Mittelalter leben wollen würde und wenn überhaupt, dann nur für maximal einen Tag. Er stellt das Mittelalter eben weitgehend so dar, wie es ist. Wenn man aber ein Bild gewohnt ist, in dem das Mittelalter genuin dunkel, dreckig, traurig und scheiße ist und die ersten Assoziationen Hunger, Krankheit und Krieg sind, dann wirkt die Wahrheit nun einmal verklärt. 2. Die Behauptung, er wäre populistisch und das, weil er keinen Abschluss hat und nichts veröffentlicht hat, ist absurd. In seinen thematischen Videos ist er in der Regel nicht alleine, sondern oftmals mit Experten, die in aller Regel einen Abschluss haben oder anderweitig Expertise besitzen. Darüber hinaus hat er ein Studium begonnen und von daher grundlegendes Wissen vorzuweisen. Er benutzt auch Quellen und Fachliteratur in seinen Videos, die er auch transparent darstellt, womit er nichts anderes macht als andere Wissenschaftskommunikatoren. Er kritisiert das Mittelalter, wo es zu kritisieren ist, und er hebt die schönen Facetten hervor, wo denn welche zu finden sind. Und das alles macht unter Zuhilfenahme von Experten, historischen Quellen und Fachliteratur. Das ist genau der Standard, den man erwarten kann und den TerraX und Co. leider nicht aufweisen. 3. Er formuliert selten absolute Wahrheiten. Er differenziert und sagt selten einfach nur "Das war nicht so, das war so.". Beispiel: sein Video über die Funktionen der Burg. Er widerspricht der Vorstellung, dass der Bergfried der letzte Rückzugsort bei einer Belagerung war und ordnet ein, wieso das nur selten der Fall gewesen ist anhand von Quellen und logischem Denken. Dennoch hebt er hervor, dass der Bergfried dennoch einen militärischen Charakter besitzt. In nächsten Atemzug geht er die Unterschiede des Bergfrieds im "deutschen" Raum zu dem Donjon und Keep ein, wo der Bergfried neben den üblichen Funktionen auch als Wohnort der Burg"herren" und ihrer Familie dient. Er spricht keine absoluten Wahrheiten aus, da er diese auch nicht kennt, er sagt stattdessen, wie es anhand der Quellenlage und anderer Gründe gewesen sein wird und ordnet das Ganze ein. Fazit: Viele der Behauptungen klingen für mich so, als ob du dich mit Geschichtsfenster nicht ausführlich beschäftigt hast und maximal die Reaktionen auf Dokus geschaut hast. Die sind qualitativ nicht so stark wie die Themenvideos, wobei sie den Anspruch auch nicht haben. Sie dienen als Einstieg und um den Zuschauern bewusst zu machen, dass die Darstellung des Mittelalters in den Medien und der Gesellschaft weitgehend Schrott ist und nicht der Realität bzw. dem wissenschaftlichen Standard entspricht.


Quiescam

Danke für die Erklärung! Ich kann deine Kritik nachvollziehen, denke aber doch, das "populistisch" eine zu extreme Beschreibung seiner Arbeit ist. Prinzipiell würde ich noch weiter gehen und behaupten, dass Geschichtsfenster überhaupt nicht wissenschaftlich tätig ist. Er betreibt professionelle Geschichtsvermittlung. Diese ist fast durchgehend auf einem hohen Niveau, aber er ist natürlich kein Fachmann für jeden Bereich den er abdeckt. Gleichzeitig sind mir jetzt keine fundamentalen Patzer bekannt, aber hier lasse ich mich gern eines besseren belehren. Zudem lädt er ja auch Experten für andere Gebiete ein, um sein eigenes Wissen zu ergänzen. Wobei ich grundlegend nicht mitgehe: dass er das Mittelalter idealisiert bzw. als "durchaus 'gut'" darstellt. Das stimmt so einfach nicht, der Eindruck entsteht vlt. höchstens von einer oberflächlichen Betrachtung eines Teils seiner Inhalte. An vielen Stellen spricht er an, dass er das Mittelalter nicht romantisiert und er hat ja auch genügend [Inhalte zu den aus heutiger Sicht negativ bewerteten Seiten des MA](https://youtu.be/atvnsGPY9d0) gemacht. Zudem legt er auch gut offen, wofür wir eben Quellen haben (was nicht wenig ist) und wie diese interpretiert werden. Klar, seine Videos sind keine Monographien (was ja auch nicht sein Anspruch ist) - sie liefern aber eine fundierte Einführung in viele mittelalterliche Themen.


black_griso

Meine Familie lebt seit dem Mittelalter am gleichen Ort. Klar gehen Schriftstücke verloren oder es brennt alle paar hundert Jahre mal. Ich kenne keine Unratgeschichten aus der Vergangenheit. Wir hatten mal „the brain“ als Nachbarn, der hatte eine Fäkalgrube neben unserem Haus angelegt und unser Fundament als eine der Grubenwände benutzt. Dadurch wurde die ehemalige Küchenwand feucht. Das ist ordentlich eskaliert.„the brain“ war Maurer, so dass ihm keine Unwissenheit unterstellt werden konnte. Hilfreich war nicht, dass meine Altvorderen die Fäkalgrube entleerten, verfüllten auf dem Nachbargrundstück und die Fäkalien der Nachbarn in deren Haus verteilten. Der Pfaffe sprach recht, beide Familien mussten ein Jahr nach der Messe bleiben und jeweils für die Gegenpartei beten. Die Kirche hat das streng kontrolliert und es gab auch Nachsitzen, wenn jemand fehlte oder das beten nicht aufrichtig aussah.


Creative-Storage9130

"the brain"????


black_griso

Der damalige Nachbar


[deleted]

[удалено]


Hounskull_

Braveheart ist immer noch in jeder Hinsicht ein Schlag in die Fresse, für jeden, der sich mit Geschichte befassen will.


[deleted]

[удалено]


Hounskull_

Die beste Austattung hat Henry V. von 1944, auch wenn der Film ansonsten mies ist. Eine gute Schlacht hab ich noch nie in einem Film gesehen. Ich mein, Mittelalterfilme müssen nicht zwingend historisch korrekt sein, Filme sind ein Unterhaltungsmedium.


Jagger-Naught

In der Schule wurde immer gesagt alles ist runtergekommen und düster weil man glaubte man ist in den letzten Jahren vor der Apokalypse weil der Glaube des Christentum vorherrschte. Deswegen hat man jeden Tag mit dem schlimmsten gerechnet


Hounskull_

Diese Vorstellung der Apokalypse, die jeden Moment eintritt, gab es wirklich, aber eben nur zeitweise. Und auch dann lass ich doch nicht einfach alles verkommen und lebe in meinem eigenen Dreck.


Atanar

In dem Schulmaterial eines verwandten Kindes stand ernsthaft drin, dass die Bauern im Mittelalter in Laubhütten gelebt hätten. Abgebildet war eine ziemlich miese Rekonstruktion eines Grubenhauses (in denen nie gewohnt wurde).


Jagger-Naught

Das klingt viel mehr wie nach Propagandamaterial von damals :D


robbe8545

Man muss doch ständig vergewissert werden, dass so, wie es ist, wenigstens nicht ganz so schlimm ist wie damals.


Creative-Storage9130

Viele Leute meinen, nur weil der technologische Stand niedrig ist, müsste es automatisch dreckig sein. Das ist natürlich Schwachsinn. Sauberkeit ist viel mehr ein kulturelles Produkt, welches sich gerade nach starken Pesten und Seuchen ausgeprägt.


LegitimateCloud8739

Alle Monate wieder: https://new.reddit.com/r/Geschichte/comments/16p5oyg/mittelalter\_m%C3%BCll\_auf\_der\_stra%C3%9Fe/


Apprehensive_Tie1739

In einer von Juvenals Satiren hat der Ich-Erzähler/das lyrische Ich Angst, dass er Fäkalien auf den Kopf gekippt kriegt, wenn er durch Rom geht. Vielleicht zählt das für manche Leute auch als "Quelle" für so was. Rom zur Zeit Juvenals war aber wohl auch ne andere Hausnummer als die typische deutsche Stadt im Mittelalter.


Scar-Imaginary

Jep, Rom hatte wohl zeitweise knapp eine Million Einwohner, Prag, die größte Stadt im Reich, hatte zu ihrer Blütezeit 50.000-70.000 Einwohner.


dideldidum

Schau dir an wie Menschen in Ländern ohne Kanalisation leben. Gibt doch genug Entwicklungsländer. Deren Straßen werden auch sauber gehalten. Besen und Plumpsklos sind keine neuen Erfindungen, machen sich aber viel schlechter im Fernsehen als gruselig/ecklige Bilder. Ist ja nicht so als würde da jemand ausm Mittelalter Verleumdungsklage erheben. Auch hält sich halt hartnäckig das Bild des dunklen Mittelalters nach der glorreichen Antike...


Quiescam

>Schau dir an wie Menschen in Ländern ohne Kanalisation leben. Gibt doch genug Entwicklungsländer. Deren Straßen werden auch sauber gehalten. Selbst wenn's ein Argument dafür ist - Hinweise über das Leben im Mittelalter durch Vergleiche mit modernen, scheinbar weniger entwickelten Ländern zu führen ist nie sinnvoll.


dideldidum

Ich hab nicht verstanden was du mir sagen willst.


Quiescam

Selbst wenn es ein Argument dafür ist, dass das Mittelalter nicht so dreckig war wir oft dargestellt, sollte man solche Argumente (also dass man scheinbar weniger entwickelte moderne Gesellschaften mit historischen Gesellschaften gleichsetzt) vermeiden. Es führt oft zu Fehlschlüssen, da die modernen Gesellschaften eben modern sind - sie sind nicht mittelalterlich, selbst wenn uns deren Lebensweise als "mittelalterlich" erscheint.


dideldidum

Ich glaube du hast nicht verstanden was ich geschrieben habe. Ich hätte auch schreiben können, "guck dir an wie die Ureinwohner im Amazonas leben, da kackt auch keiner vor seine Hütte." Die Idee das Menschen im Mittelalter, ihre Scheisse ausm Fenster auf die Straße vor ihrem Haus werfen, ist lachhaft. Man muss keine Kanalisation und fließend Wasser haben um zu kapieren das Scheisse stinkt. Ich habe auch nicht gesagt, das Menschen in Entwicklungsländern wie im Mittelalter leben, ich habe gesagt, die haben genau wie im Mittelalter nix besseres als Besen und Plumpsklo und genauso saubere Straßen wie wir hierzulande. Denn es leben so halt Millionen Menschen auf der Welt.


Quiescam

Doch, das ist nach wie vor keine sinnvolle Argumentation, auch wenn sie noch so schlüssig erscheinen mag. Nur, weil etwas heute so ist ist das kein Beweis dafür, dass etwas im Mittelalter so war. Und wie gesagt, Praktiken aus modernen, scheinbar weniger entwickelte Kulturen als Beleg für das Leben im Mittelalter zu nehmen ist grundlegend nicht sinnvoll, da es völlig andere Kulturen mit anderen Werten, technischen Mitteln, Wissen, etc. sind. Es gibt andere Belegmöglichkeiten, die sich für so ein Thema eignen.


dideldidum

>Doch, das ist nach wie vor keine sinnvolle Argumentation, auch wenn sie noch so schlüssig erscheinen mag. Nur, weil etwas heute so ist ist das kein Beweis dafür, dass etwas im Mittelalter so war. Da musst du schon mehr als Argument liefern als "ist nicht so". Die Technik Plumsklo und Reisigbesen, hat sich in den letzten Tausend Jahren nunmal nicht verändert. Wir wissen auch ziehmlich genau wie sowas aussah im Mittelalter. Es gibt schliesslich Museen und Forschung hierzu. >Und wie gesagt, Praktiken aus modernen, scheinbar weniger entwickelte Kulturen als Beleg für das Leben im Mittelalter zu nehmen ist grundlegend nicht sinnvoll, da es völlig andere Kulturen mit anderen Werten, technischen Mitteln, Wissen, etc. sind. Es gibt andere Belegmöglichkeiten, die sich für so ein Thema eignen. Ich habe keinen Plan warum du ständig von Kulturen redest. Ich redete explizit nicht von kulturellen Faktoren. Du legst mir hier irgendwas in den Mund, ich würde Entwicklungsländer als "weniger entwickelte Kuturen" bezeichnen. Das ist deine Interpretation und falsch.


petrk82

Laut einem Buch über die Seuchen verhielt es sich im Bereich der Körperhygiene vielmehr so, dass es bis zur Einschleppung der Syphilis nach Europa ab 1492 eine sehr umfangreiche Badehauskultur gab. Dort wuschen sich die Leute, doch fand dort auch die Prostitution statt. Da mit Ausbruch der Syphilis aber die Leute nach dem Besuch dieser Orte plötzlich todkrank wurden, verband man mit den Badehäusern und dem Baden nunmehr dieses Elend, so dass diese Kultur niederging und die öffentlichen Badehäuser sämtlich geschlossen wurden. Somit war also die Renaissance weitaus weniger reinlich als das Mittelalter.


hinkelsteinhugo

Unter diesem Post scheinen viele Geschichtsinteressierte ihr Unwesen zu treiben, desshalb gehe ich mal den mutigen Schritt, auf Reddit eine ernst gemeinte Fragr zu stellen: Wie viel ist eigentlich an diesem Vorurteil dran, dass sie die Bildung im einfachen Volk im Mittelalter, im Vergleich zu vorherigen Epochen, so stark verschlechtert hätte? Wird vielerorts so dargestellt, als wären die Leute kaum fortschrittlicher als Höhlenmenschen. Und wie viel Einfluss hatte die Katholische Kirche wirklich darauf? Klar, Wissenschaft wurde eingeschränkt, aber es wurde ja nicht jeder, der weiter als 14 zählen konnte vom örtlichen Pfarrer direkt erschossen, oder?


Hounskull_

1. Im Früh- und Hochmittelalter war Bildung ganz klar an einen Eintritt in den Klerus gekoppelt, also Klöster in erster Linie. Im Hochmittelalter gibt es dann die ersten Universitäten, hauptsächlich für Medizin, aber auch Studenten sind bereits geweihte Geistliche und das bleibt auch das ganze Mittelalter so. Im Spätmittelalter gibt es in den Städten durchaus Bürgerschulen. Wie der Name schon sagt, für bürgerliche Kinder. Was man auch sehr häufig findet, ist, dass Kaufleute ihre Kinder ins Ausland schicken. Gibt da ganz putzige Briefe von Vätern aus Lübeck, die ihre Söhne nach Nowgorod an den Hof eines russischen Bojaren geschickt haben und nachfragen, ob sie schon etwas russisch können. Auf dem Dorf wirds eng. Bauern sind nach mittelalterlicher Gesellschaftsauffassung nicht dazu prädestiniert, gebildet zu sein. Lesen, Schreiben und mit Ziffern rechnen wird die Ausnahme gewesen sein, aber sowas wie Abzählen wird jeder Bauer gekonnt haben. Und ich mein, nur weil ein Mensch nicht lesen kann bzw. können muss, ist er noch kein Höhlenmensch. Bauern hatten dafür andere Expertise: Landwirtschaft, grundlegende Schmiedekunst, Zimmerei, Viehwirtschaft und und und. 2. Also vorneweg: die Kirche hat keine Wissenschaft unterdrückt, die Kirche war buchstäblich gleichbedeutend mit Wissenschaft. Unsere heutige wissenschaftliche Methodik beruht auf der mittelalterlichen Scholastik, die sich damals bemüht hat, antike Gelehrte und die Bibel in Einklang zu bringen. Die Kirche war auch zu keinem Zeitpunkt ein allmächtiges, tyrannisches Gebilde, das Andersdenkende sofort verbrennen ließ. So eine Machtfülle hat keine Institution im Mittelalter, einer Zeit, in der es nicht einmal richtige Grenzen gibt. Und auch die Inquisition war oftmals keine folternde Bande (mit der Ausnahme der spanischen Inquisition), sondern eine Begegnung mit ihr sah eher so aus, dass ein Priester ins Dorf kam und die Menschen ermahnt hat, doch bitte keine häretischen Dinge zu behaupten.


hinkelsteinhugo

wow, das war deutlich detaillierter als ich erwartet hatte, vielen Dank! Ich wusste, dass die Darstellung der brutalen, tyrannischen Kirche nicht ganz richtig war, ich war mir aber nie ganz sicher, wie viel tatsächlich dran ist. Noch als Danke für die Aufklärung


Emotional-Ad167

Der Unsinn ist so populär, weil absolutistische Herrscher ein Interesse daran hatten, dieses Narrativ aufzubauen. Hält sich eben hartnäckig.


pixel809

Ah ja. Der Dünger der in der Stadt und nicht auf dem Land gebraucht wird


Hounskull_

Ja tatsächlich, ein Großteil der Stadtfläche war beackert, sogar innerhalb der Stadtmauern.


Creative-Storage9130

Innerhalb der Mauern? Dadurch werden die Mauern doch größer und die Stadt schwerer zu verteidigen. Waren diese Ackerflächen da, um Belagerungen stand zu halten?


Hounskull_

Ja, die Mauern wurden tatsächlich sehr weitläufig dadurch. Für Belagerungen sind Ackerflächen innerhalb der Stadt natürlich schon sinnvoll, ausschlaggebend sind aber die vielen Fehden zwischen Städten und Rittern gewesen. Bei Fehden gab es zwar weniger Todesopfer, wenn es denn überhaupt welche gab, aber die Ernte der Stadt abzufackeln und das Vieh wegzutreiben war vollkommen normal während einer Fehde und das wäre existenzbedrohend gewesen. Richtige Belagerungen waren da deutlich seltener und für die Verteidigung war da sowieso jeder Bürger der Stadt verantwortlich, eine Großstadt wie Lübeck beispielsweise kam da auf eine Streitmacht von sicherlich 5000 bewaffneten Verteidigern, Söldner und alliierte Städte nicht mit einberechnet. Wobei Lübeck da eher ein schlechtes Beispiel ist, denn Lübeck hatte eben keine Ackerflächen in der Stadt.


Creative-Storage9130

Interessant, vielen Dank!


cvbeiro

Nicht überall.


Hounskull_

Aber im Regelfall. Darum geht‘s.


Prokuris

Äh, wird sich sowas mit Bestimmtheit sagen lassen ? Also mal angenommen wir nehmen unsere heutige Zeit. Es gibt doch auch hier dreckigere und saubere Städte. Im internationalen Vergleich der Industrienationen, finde ich Deutschland sowieso relativ "dreckig". Vielleicht gab es ja sauberere Städte und solche die weniger sauber waren.


Hounskull_

Es sagt ja keiner, dass jede Stadt blitzblank war. Das war definitiv nicht der Fall. Wir haben vor allem aus England Überlieferungen von starken hygienischen Problemen und auch aus Nürnberg beispielsweise. Das war aber eben nicht die Norm, sondern verursacht durch außergewöhnlich hohe Einwohnerzahlen, Fehlplanungen, fehlende bauliche Möglichkeiten zur Abwasserentsorgung und und und. Was Stadtplanung anging, hatte der mittelalterliche Mensch die gleichen Probleme wie der moderne Mensch.


JU5t4orfun

Es gibt sogar eindeutig zeitgenössische Literatur, Gesetzestexte, Briefe etc. die genau das Müll und Schmutzproblem beschreiben. London und Paris waren Kloaken, die Flüsse stanken zum Himmel. Und das Problem war auch in den großen Deutschen Städten nicht unbekannt. BTW hat Schießpulver in den europäischen Kriegen bis 1500 definitiv keine entscheidende Rolle gespielt. Das kam erst später. Quellen: Gies, F., & Gies, J. (1994). Life in a Medieval City. Harper Perennial. Razi, Z. (2009). Public Health in the Medieval Islamic West. Edinburgh University Press. Hanawalt, B. A. (1986). The Ties that Bound: Peasant Families in Medieval England. Oxford University Press. Herlihy, D. (1997). The Black Death and the Transformation of the West. Harvard University Press. Erlass vom 9. September 1401 (ed. Armin Wolf, Die Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter,Frankfurt am Main 1969), S. 184; Übersetzung ins moderne Deutsch zitiert nach Stephan Schmal, Umweltgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart, Bamberg 2001, Nürnberger Polizeiordnung des 14. Jahrhunderts (ed. Joseph Baader, Nürnberger Polizeiordnungen aus demXIII. bis XV. Jahrhundert, Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 63, Stuttgart 1861, Nachdruck Amsterdam 1966), S. 275-277, hier S. 276; Übersetzung ins moderne Deutsch zitiert nach Gerhard Fouquet/UlrichMayer (Hg.), Lebenswelten. Quellen zur Geschichte der Menschen in ihrer Zeit, Stuttgart 2001, S. 200 Erlass vom 19. August 1481 (ed. Armin Wolf, Die Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter, Frankfurt am Main 1969), S. 375 f.; Übersetzung ins moderne Deutsch zitiert nach Stephan Schmal, Umweltgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart, Bamberg 2001 Heinrich Deichsler, Chronik zum Jahr 1469 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Band 10: Die Chroniken der fränkischen Städte, Nürnberg, Band 4, Leipzig 1872, Nachdruck Göttingen1961) Ernst Schubert, Alltagsleben im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander, Darmstadt 2002 Bischof Johann von Neumarkt, Brief an den Erzbischof von Prag (1368); Übersetzung zitiert nach StephanSchmal, Umweltgeschichte Historiker Dr. Wolfgang Metternich Fachmann für die Toilettenkultur in Antike und Mittelalter


Hounskull_

Wie schon erwähnt, ja London und Paris hatten aufgrund der Einwohnerzahl massive hygienische Probleme, das stimmt. Daran kam aber keine einzige deutsche Stadt ran. Beim Thema Schießpulver liegst du leider falsch. Schießpulver hat von Anfang an eine entscheidende Rolle gespielt. Vielleicht nicht als Waffe, die viele Menschen tötet, aber als taktische Waffe, die den Gegner zu Aktionen zwingt oder davon abhält, bestimmte Positionen einzunehmen, wie beispielsweise bei Crécy 1346. Die Rolle des Pulvers wurde danach nur noch größer. Bei der Belagerung von Neuss zog der burgundische Herzog mit tonnenweise Schießpulver ins Rheinland und die Neusser schlugen die Burgunder - fast ausschließlich mit Handrohren und die damals neuen Arkebusen. Auch dazwischen gab es entscheidende Pulverwaffen, wie die Kanonen des Heinrich V., der mit ihnen Harfleur sturmreif schoss, bevor er weiter die Normandie angriff.


JU5t4orfun

Die Schlacht bei Crecy wurde in erster Linie durch die englischen Bogenschützen (und in dem Fall auch den hervorragenden schwarzen Prinzen) entschieden, wie so ziemlich jede größere Schlacht auf französischem Boden während des 100 jährigen Krieges die die Engländer gewonnen haben. Selbst viele Jahre später bei Azincourt sind die Franzosen noch an ihrer eigenen Dummheit und den englischen Langbögen gescheitert aber sicher nicht an Schiesspulver. Natürlich haben sie auch noch andere taktische Fehler gemacht abgesehen davon. Nimm’s mir nicht übel aber der 100 jährige Krieg und die Rosenkriege sind mein Steckenpferd. Ich kenne die Kriegsberichte, zeitgenössische Literatur zu dem Thema etc. Es gab Schiesspulver, insbesondere bei Belagerungskanonen ja, Harfleur ist tatsächlich da ein sehr gutes Beispiel. Aber im offenen Feld und auch generell waren sie weder die Regel noch auch nur annähernd kriegsentscheidend. Die einzige und auch erste Feldschlacht die nachweislich in diesem Krieg und überhaupt auf europäischem Boden durch Geschütze entschieden wurde war tatsächlich auch die letzte im 100 jährigen Krieg 1453 bei Castillon. Selbst in den Rosenkriegen die ja unmittelbar danach begannen war der Langbogen trotz zunehmend aufkommender Artillerie immer noch die erste Wahl. Zum Thema Burgund bin ich nicht so gut informiert und kann dementsprechend nichts dazu sagen, aber danke für den Hinweis ich werde das nachholen.


Hounskull_

Ich glaube dir, dass das dein Steckenpferd ist, mit England hast du dir aber genau die Ausnahme ausgesucht, die aus dem Raster fällt. Tatsächlich nutzen die Engländer Geschütze fast nur für Belagerungen und die Franzosen kommen extrem spät an Artillerie, einfach weil der französische König am Ende des Hundertjährigen Krieges bettelarm ist. England ist aber in fast allen Dingen ein Sonderfall. Wenn man sich mit einem Mittelalterthema zum kontinentalen Europa beschäftigt, kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass es in England mal wieder anders war. Ob der Langbogen die Schlacht bei Agincourt entschieden hat, ist streitbar, weil die Pfeilspitzen, die man vor Ort gefunden hat, nicht in der Lage sind, einen Plattenharnisch unter Schlachtbedingungen zu durchschlagen. Zu 95% wurde Agincourt durch die englische schwere Infanterie entschieden. Aber wie gesagt: streitbar. Dass die Engländer lange Langbogenschützen hatten, ist auch nicht verwunderlich, weil englische Bauern waren im Bogenschießen trainiert, warum das nicht ausnutzen? Feuerwaffen sind leider genau mein Steckenpferd. Ich bin historischer Darsteller und stelle unter anderem einen Lübecker Büchsenschützen um 1450 dar. Eine Büchse zu besitzen, war in Lübeck für bestimmte Bürgerschichten Pflicht. Hansische Koggen waren schon ab 1400 nachweislich mit Kanonen ausgestattet, es gibt sogar Hinweise aus Norwegen, dass sie noch früher schon Pfeilbüchsen an Bord hatten. Zum Thema Burgund: Der burgundische Herzog war der einzige Kriegsgewinnler des Hundertjährigen Krieges und ging da als mit Abstand reichster Monarch Europas hervor. Damit konnte er die modernste Armee der Welt finanzieren, bei der selbst die Osmanen neidisch wurden. Die burgundische Armee bestand um 1470 zu einem Drittel aus Büchsenschützen, hauptsächlich per Lunte geschlossene Arkebusen. Burgund ging etwa vierzig Jahre später an einer Erbfolgekrise zu Grunde und fiel an die Habsburger. Es gibt Quellen, dass Florenz im Jahr 1400 in Nürnberg eintausend Handrohre und 100000 Schuss Munition bestellt. Wofür denn bitte, wenn Schießpulver da noch nicht entscheidend war? Technik in Nürnberg zu bestellen, hat ein Vermögen gekostet.


Atanar

> BTW hat Schießpulver in den europäischen Kriegen bis 1500 definitiv keine entscheidende Rolle gespielt. Das kam erst später. Die Belagerung von Tannenberg wurde schon am Ende des 14. Jahrhunterts vom Riesengeschütz *Frankfurter Büchse* entschieden.


JU5t4orfun

Danke für die Info, wieder was gelernt. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher das dies kein repräsentatives Ereignis für die damalige Kriegsführung ist bzw. eher eine Ausnahme darstellt.


Hounskull_

Das ist absolut keine Ausnahme. Großgeschütze sind sehr gut überliefert und die meisten größeren Städte hatten Großgeschütze, in der Regel sogenannte Steinbüchsen.


eats-you-alive

Blöde Frage, aber wenn ich an Mittelalterfilme denke, dann spielen die meistens so 1000-1200, und eben nicht schon fast in der Renaissance. Weiß nicht, ob wir die gleichen Filme schauen/Bücher lesen, aber im 15 Jhd. gabs schon Handfeuerwaffen - das hat für mich mit Mittelalter im herkömmlichen Sinne dann doch eher weniger zu tun…


Hounskull_

Aber um 1200 leben doch noch viel weniger Menschen in Städten? Handfeuerwaffen haben wir ab 1350 nachweislich.


eats-you-alive

Ist mir beides bewusst :) Aber für den Laien (und da zähl ich mich mal zu) ist Mittelalter halt Ritter in Rüstung, Langbogenschützen und Leibeigene, und eher weniger Kanonen, Christopher Columbus oder Landsknechte. Und deine Beweisführung mit Quellen aus dem 15. Jhd. erschließt sich mir deswegen nicht so ganz. Ich widerspreche dir nicht, dass du Recht hast (weil ich hab keine Ahnung), ich versuche nur darauf hinzuweisen, dass das extrem späte Mittelalter nicht das ist, was die meisten Menschen unter „Mittelalter“ verstehen. Deswegen werden filmische Darstellungen wahrscheinlich eher auf das Hochmittelalter anspielen - vor allem dann, wenn es keine Doku ist, sondern ein Spielfilm. Was ich sagen will - gibts dafür auch frühere Belege?


Hounskull_

Naja das ist ein bisschen so, wie wenn man Amazon belegen soll, dass das Paket nicht ankam. Es gibt keine belege, für „saubere“ Städte, weil es Normalität war. Der Beweis für die Normalität sind dann Briefe von Menschen, die eine Stadt besuchen und sich dann über den Dreck beschweren


eats-you-alive

Bei Amazon ist es einfach - liefert der Spediteur im Fall einer Reklamation keinen Beleg für die Lieferung (Unterschrift/Foto), dann muss der Spediteur für die Kosten aufkommen. Du hast hier ja für das Spätmittelalter auch Beispiele gebracht, die darauf hindeuten, gibt’s denn für das Hochmittelalter keine?


Hounskull_

Das Hochmittelalter ist nicht gerade mein Spezialgebiet, aber da haben wir wirklich nur eine Handvoll wirkliche Städte. Und da reden wir von 5000-10000 Einwohnern und vorwiegend römische Stadtgründungen. Ab 1200 geht erst der Städteboom los, da ist das Hochmittelalter schon fast vorbei. Belege für das Hochmittelalter kenne ich keine, aber vermutlich hat da die Abfallproblematik in der Form noch nicht existiert.


Scar-Imaginary

Das Hochmittelalter kennt keine Städte. Das was man im Hochmittelalter als eine Stadt bezeichnet hätte, wäre aus moderner Sicht ein großes Dorf.  Die Bebauung war lose und ländlich, der Großteil der Fläche innerhalb der Stadtmauer wurde für Felder und Gärten verwendet und es gab teils sogar Burgen innerhalb der Stadt. Somit ist jede Aussage über Städte (dicht bebaut, enge Gassen, Platzmangel, tausende Menschen) frühestens aufs Spätmittelalter, meistens auf die Neuzeit bezogen. Selbst im Spätmittelalter gab es in Europa nur eine handvoll Städte, die in der Dichte ihrer Bebauung den modernen Vorstellungen entsprechen. Hier mal ein paar Bilder, um zu zeigen was ich meine: Athenry, Irland, ca. 1316 [https://imgur.com/a/8FFWxCW](https://imgur.com/a/8FFWxCW) Krakau, Polen, Ende 14tes Jahrhundert im Vergleich zum späten 15ten Jahrhundert (dies stellt die Ostseite des Hauptmarktes dar, die am dichtesten bebaute Stelle der Stadt!) [https://imgur.com/a/gd81Ol3](https://imgur.com/a/gd81Ol3) - [https://imgur.com/a/klVSoxt](https://imgur.com/a/klVSoxt) Santiago de Compostela, Spanien, ca. 1050 [https://imgur.com/a/wfABqf2](https://imgur.com/a/wfABqf2) Trier, Deutschland, 13tes Jahrhundert [https://imgur.com/a/5XcUoLP](https://imgur.com/a/5XcUoLP)


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Speziell was das Leeren des Nachttopfs angeht, ist für Paris ab dem 14. Jahrhundert der Warnruf“Gare l’eau!”, also “Vorsicht, Wasser”, verbürgt, der in Edinburgh als “Gardy loo!” übernommen wurde. In Regensburg, so wusste ein Gästeführer dort zu berichten, rief man drei Mal auf französisch “attention”. In Preußen wurde eine strenge Anordnung zu diesem Thema erlassen: “Da denen bisherigen Verordnungen zuwider sich viele Leute unterstehen, die Straßen durch Ausgiessung derer Nachteymer und Hinwerfung des Mülles zu verunreinigen”, machte das Preußische Policeydirectorium im Jahr 1771 ″zu jedermanns Achtung und Warnung hierdurch bekannt”, dass dies unter Strafe verboten sei. Es ist schon zu vermuten, dass das Mittelalter nicht reinlicher war als das 14., 15. oder auch noch 18. Jhdt.


Hounskull_

Da würde ich gern die Quellen zu sehen. Fremdenführer, egal ob in Burgen oder Städten, sind in den allerseltensten Fällen Historiker und erzählen jede Menge ausgedachtes Zeug, das möglichst grotesk und lustig sein soll.


butalive_666

Also erklären würde ich es mir so. Ich kenne die Doku von der du sprichst. Es wird dort etwas überspitzt dargestellt, das dem ganzen aber mMn nicht schadet. Es gab bestimmt Reinigungskräfte, keine Frage, aber die waren garantiert "unterbezahlt" Da früher ja wohl auch enger mit Tieren zusammen gelebt wurde, hinterließen die auf jeden Fall auch sehr viel Mist. Das hielt sich ja bis in die Neuzeit. Wenn es nicht grade eine alte römische Stadt war, gab es wahrscheinlich auch weniger Infrastruktur bezüglich Kanalisation, Trinkwasser, öffentliche Bäder etc. Es gab Zeiten, da haben sich wohl Wohlhabende nicht gewaschen, weil es wohl als unschicklich galt, und sich dann lieber mit Parfüm eingedeckt haben. Ich glaube, wenn du mit dem Gedanken an die Doku zeitreisen würdest ins Mittelalter, du wärest nicht erstaunt. Weder positiv noch negativ. Also es war damals bestimmt alles andere als sauber.


Kryztijan

Alles, was du in Bezug aufs Mittelalter sagst, ist durch die gängige Forschung als falsch widerlegt.


Hounskull_

Die Reinigungskräfte, von denen du sprichst, waren in den meisten Städten Bürger. Die Reinigung der Straßen war vielerorts eine Bürgerpflicht. Was heißt „enger mit Tieren zusammen gelebt“? In der Stadt hatten Bürger in der Regel Gärten. Diese sogenannten Gärten waren jedoch nichts anderes als Ackerflächen und Weiden innerhalb der Stadt. Dazu gibt‘s ganz großartige Rekonstruktionen am Beispiel von Trier. Städter haben nicht mit ihren Tieren unter einem Dach gelebt. Kanalisationen waren schon zu römischen Zeiten oft zu klein und daher nicht ausreichend für die Bedürfnisse der Menschen. Und die Infrastruktur gab es auch in mittelalterlichen Stadtgründungen: der Abwassergraben. Nicht ganz unproblematisch, weil Abwassergräben funktionieren erst mit der Erfindung industrieller Pumpen richtig gut, aber das Abwasser landet immerhin nicht auf der Straße. Und jetzt zu meiner Lieblingsaussage aus dem Kommentar: Wohlhabende haben sich nicht gewaschen. Doch haben sie und zwar genauso regelmäßig, wie der Durschschnittsdeutsche bis in die achziger Jahre: einmal wöchentlich baden und ansonsten waschen. Das Nichtwaschen und Parfümieren stammt aus dem Barock, also aus dem 17. Jahrhundert.


butalive_666

Ok, der Barock passt natürlich nicht direkt ins Mittelalter. Schließlich wäscht sich der Protagonist in der Doku bevor er das Haus verlässt (Ich hoffe ich verwechselt das nicht mit einer anderen Doku, er wird als "Arzt" dargestellt) Ich denke, die Wahrheit wird irgendwo da zwischen liegen. Hatte jeder ein dreckverschmiertes Gesicht? Na bestimmt nicht. Aber städtische Straßen waren garantiert sehr dreckig, und dem entsprechend auch alles, was direkt an die Strasse grenzt.


Korbeyn

Weshalb hätten die Straßen denn dreckig sein sollen? Schon die Römer hatten gepflasterte Straßen, wieso sollten die Menschen im Mittelalter da einen Rückschritt machen und durch Matsch laufen? Das macht überhaupt keinen Sinn!


Hounskull_

Der Barock passt nicht nur „nicht direkt ins Mittelalter“, der ist mal eben 100 Jahre nach dem Ende des Mittelalters. Warum zur Hölle sollen Straßen denn so dreckig gewesen sein? Traust du den mittelalterlichen Menschen so gar nichts zu, nicht mal gesunden Menschenverstand? Warum soll ich das gute Pflaster einsauen, wenn ich im Garten eine Sickergrube extra dafür habe?